Zehn Fragen an Turnier-Veranstalter Volker Wulff... Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Montag, 07. November 2022 um 18:56

 

Turnier-Veranstalter Volker Wulff

(Foto: Kalle Frieler)

Uthlede/ Cuxhaven. Volker Wulff (65) gehört in Deutschland mit seinem Unternehmen „En Garde“ zu den wenigen und somit letzten großen Veranstaltern von internationalen Reitsport-Turnieren. Er erklärt, was in Berlin fehle für ein großes Reitturnier, und er sagt, der Sport müsse im Mittelpunkt bleiben...

Volker Wulff, Sie sind einer der letzten großen Turnierveranstalter in Deutschland, das Land, das mal führend war weltweit im Veranstaltungsangebot. Warum brechen so viele Turniere nicht nur wegen Corona weg, worin liegt der mögliche Hauptgrund?

Volker Wulff: „Dafür gibt es meines Erachtens mehrere Gründe. Zum einen spielt die Verbesserung der gesamten Logistik, die auch dem Pferdesport den Weg in die Globalisierung geöffnet hat, eine große Rolle. Es gibt weltweit viel mehr Turniere als noch vor 2o Jahren, und diese stehen alle in gewisser Konkurrenz miteinander. Das Buhlen um die Topreiter ist weitaus intensiver geworden. Früher konnte man als Veranstalter vermelden, dass acht Springreiter der Top Ten der Weltrangliste nach München, Leipzig oder gar Gera kommen. Das wird es heute nicht mehr geben - selbst nicht auf den ganz großen Turnierplätzen der Welt.

Durch die Vielzahl der Veranstaltungen steigen auch die Preisgelder, weil jeder Veranstalter den anderen überbieten möchte. Wenn man da aus rein betriebswirtschaftlichem Handeln mithalten will, wird es sehr schwer. Häufig gibt es im Ausland andere Bedingungen durch finanzstarke Geldgeber, die sich Topveranstaltungen leisten wollen. Des Weiteren haben die letzten Jahre durch COVID und den damit verbundenen Einschränkungen sowie die Folgen des Krieges in der Ukraine die Veranstalter extrem gebeutelt. Ich fürchte sogar, dass in den nächsten Jahren noch mehr internationale Veranstaltungen in Deutschland vom Turnierkalender verschwinden werden.“

Ein US-Blatt, das sich mit Großereignissen auch im Sport einen Namen machte, will herausgefunden haben, dass eine Nachfrage nach hochwertigen Sportveranstaltungen bestehe, kommt das für Deutschland auch in Betracht?

V.W.: „Das ist in Deutschland genauso. Die Menschen sind gierig nach dem, was sie vor COVID erlebt haben. Die großen Veranstaltungen werden weiterhin gut besucht werden. Das Konsumverhalten der interessierten Fans wird jedoch selektiver werden. Das Geld wird knapper, und viele müssen sich einschränken. deshalb besucht man nicht mehr so viele Veranstaltungen wir bisher, sondern konzentriert sich auf die Top-Events.“

In den Hauptstädten fast aller westlicher Länder wird mindestens ein großes Reitturnier im Jahr organisiert, warum nicht in Berlin, wo sich nun auch Jan Tops mit der Global-Tour verabschiedete, woran krankt Berlin im Hinblick auf Reitsport oder Turniere?

V.W.: „Berlin ist eine tolle Stadt, aber auch ein schwieriges Pflaster für Veranstaltungen. Das ist nicht nur im Reitsport so. Mit der Global Champions Tour hatten wir ein tolles Event im Sommergarten der Berliner Messe. Es fehlte jedoch an der Unterstützung der Stadt und der Berliner Unternehmen, um aus der Veranstaltung etwas "Großes" zu machen. Einzig unser Partner, die DKB, hat sich als Hauptsponsor maßgeblich für die Veranstaltung ausgesprochen und war eine der großen Säulen für den Beginn des Events. Leider stiegen auch hier die Kosten nach COVID extrem und die Bereitschaft der Berliner Wirtschaft, sich einzubringen, blieb aus. Wenn man erfolgreich ein Top-Event in der Hauptstadt etablieren will, dann muss die Stadt mitziehen und es auch wollen.“

Warum sind in Deutschland unter Hauptsponsoren bei Turnieren fast kaum noch Autofirmen zu finden, und das ausgerechnet im Land, das so stolz ist auf seine verschiedenen Autobauer?

V.W.: „Die Automobilbranche hat sich nach und nach aus dem Reitsport-Sponsoring verabschiedet. Ebenso wie die Brauereien. Vor 20 Jahren gab es kaum ein großes Turnier ohne Bier und Auto als Hauptsponsor. Bei den Brauereien hat die Globalisierung zugeschlagen. Es gibt weltweit noch gerade mal fünf Brauereikonzerne, und da werden die Marketing-Entscheidungen in den Konzernzentralen getroffen. Da spielt regionales Interesse keine Rolle mehr.

Bei den Autobauern ist es nicht die Globalisierung, aber auch die Konzentration der Marketingentscheidungen liegt in der Zentrale. Die einzelnen Regionen haben eigene Budgets, aber die reichen meist nicht für ein Engagement als Hauptsponsor bei einem großen Turnier. Und um in der Konzernzentrale eine Rolle zu spielen, ist der Reitsport im Allgemeininteresse zu unbedeutend.“

Wohin treibt der Reitsport überhaupt, geht er weg vom Sport und enger zur Show, oder wie könnten Turniere in einigen Jahren aussehen, oder gibt es dann nur noch vielleicht das Derby in Hamburg und den CHIO von Deutschland in Aachen, wohin geht der Trend?

V.W.: „Der hochklassige Reitsport ist interessant wie eh und je. Show war und ist schon seit langem Bestandteil guter Turniere. Eine gesunde und attraktive Mischung gehört eben dazu, wenn man ein Publikum entertainen will. Man muss als Veranstaler an "Event" denken und nicht nur an Reitsport. Neben der Show müssen auch eine interessante Ausstellung und ein hochwertiges kulinarisches Angebot geboten werden. Aber der Sport muss den Kern der Veranstaltung bleiben - sonst brauchen wir nicht mehr von Reitturnieren zu sprechen.

Wichtig ist aber auch, dass der Sport weiterhin maßgeblich in den Vereinen stattfindet und von den Vereinen mit geprägt wird. Die Struktur der Vereine in den jeweiligen Landesverbänden ist eines der wichtigsten Güter zur Erhaltung des Reitsports. Da ist es, meines Erachtens, die wichtigste Aufgabe, diese Struktur wieder zu stärken, damit alles künftig aus einer breiten, gesunden Basis entstehen kann.“

Leipzig ist das einzige große internationale Turnier in Ostdeutschland, gibt es Untersuchungen darüber, wie sich die Veranstaltung auf die Wirtschaft auswirkt, auf Gastronomie und Hotels zum Beispiel?

V.W.: „Die Menschen in Ostdeutschland sind generell sehr reitsportinteressiert. Das sehen wir Jahr für Jahr in Leipzig wieder. Gerade am letzten Wochenende war eine ebenfalls sehr gut besuchte Veranstaltung in der Messe Chemnitz. Aber um neue Veranstaltungen zu machen, bedarf es immer einer breiten wirtschaftlichen Unterstützung. Nur mit Eintrittsgeldern allein lässt sich kein Turnier finanzieren. Und die Kosten steigen immens. Preiserhöhungen bei den Dienstleistern von 20 Prozent und mehr im Vergleich zu 2020 sind keine Seltenheit.

Aber es gibt auch sehr gute Gründe, die für die Erschaffung neuer Reitsport-Events sprechen, wie eine Studie gezeigt hat, die wir gemeinsam mit der Handelshochschule Leipzig, HHL, im Rahmen der World-Cup-Finals im April diesen Jahres durchgeführt haben. Dort hat sich unter anderem ergeben, dass in der Stadt Leipzig und in der Region ein Umsatzzuwachs von etwa 25 Millionen Euro durch das Event in der Tertiärstruktur erwirtschaftet wurde. Hotels, Restaurants, Geschäfte, Tankstellen, Dienstleister etc. haben von den Gästen, Ausstellern und Aktiven profitiert. Hinzu kommt ein Marketing Value von geschätzten 50 bis 100 Millionen Euro.

Des weiteren konnte herausgearbeitet werden, dass der Reitsport in Form dieses Events einen extrem hohen Grad an "Sozialer Nachhaltigkeit" erzielt hat. Die Attribute wie Divers, Nahbar, Einzigartig und Traditionell decken sich komplett mit den Werten der Stadt Leipzig.

Es wird unsere Aufgabe sein, den Menschen zu vermitteln, welche Werte der Reitsport transportiert. Der Reitsport ist immer noch die einzige Sportart, bei der Frauen und Männer bei Olympischen Spielen um dieselbe Goldmedaille kämpfen - mehr Gleichberechtigung geht nicht! Da tun sich alle anderen Sportarten extrem schwer!!“

Der Reitsport, vor allem in den oberen Verbandsetagen, wird immer mehr von Technokraten bestimmt, vom Sport ist kaum noch jemand in vorderer Linie. Auf die Vertreter ihrer Disziplinen wird kaum oder gar nicht gehört. So hatten sich die Spring- und Dressurreiter vehement gegen die Dreierregel im Teamwettbewerb bei Olympia ausgesprochen, doch der Weltverband segnete die Dreierregel ab. Er entschied sich also gegen den Sport, denn der Ausfall eines Teammitglieds kann nicht ausgeglichen werden. Ist das korrekt?

V.W.: „Für solche Entscheidungen gibt es immer mehrere Beweggründe. Da spielen Kosten eine Rolle. Dann geht es um Verbesserung der Chancenegleichheit für möglichst viele Länder, die dem Internationalen Olympischen Komitee angeschlossen sind. Länder mit weniger guten Reitern/Pferden haben es zudem oft schwer, ein Team von vier Reitern zu stellen, obwohl sie drei Reiter hätten, die den Anforderungen gewachsen wären.

Rein auf den sportlichen Wettkampf konzentriert, halte ich die Regelung für unglücklich - aber man muss eben mehrere Sichtweisen zulassen, die eine solche Entscheidung beeinflussen.“

Der Springsport läuft seit vielen Jahren nach starren Regeln ab. Der Parcourschef ist an bestimmte Hindernisse und Höhen gehalten, Kombinationen sind stets gleich, meist wird inzwischen auch auf einen Wassergraben verzichtet. Wenn Sie dürften, würden Sie nicht mal einem Parcoursbauer auftragen, eigene und abweichende Kreationen in den Parcours zu stellen, ohne das Pferd zu überfordern? Was wünschten Sie sich manchmal?

V.W.: „Jeder Sport braucht Regeln. Besonders, wenn ein weiteres Individuum, das Pferd, integriert ist. Da müssen zumindest die Anforderungen im Rahmen der Tierschutz relevanten Grenzen eingehalten werden. Man kann aber in diesem Rahmen aber auch einiges machen, wie z.B. das Derby in Hamburg zeigt. Das Derby ist anders als alle anderen Springprüfungen und es genießt ein Höchstmaß an Attraktivität - sowohl vor Ort bei den Zuschauern als auch am Bildschirm oder in den Medien. Es wäre sicher wünschenswert, ein paar mehr dieser Spezialprüfungen zu haben, um die gesamte Attraktivität des Reitsports zu erhöhen - immer konform mit dem Tierschutz! Dafür sollten die Verbände weiterhin offen sein. Man kann aber auch durch die Neugestaltung der Hindernisse einiges an Abwechslung schaffen. Wir arbeiten seit Jahren mit Frank Rothenberger zusammen - und mit ihm haben wir oft kreative Gespräche...“

In den deutschen Medien kommt der Reitsport kaum noch vor, wenn überhaupt. Woran krankt diese Missachtung eines Sports, der nach wie vor bei Olympia so erfolgreich ist wie kein anderer Verband des Deutschen Olympischen Sportbundes? Welchen Vorschlag hätten Sie zur Änderung oder für einen Umschwung?

V.W.: „Der Reitsport auf hohem internationalem Niveau ist immer noch gut im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertreten. Hamburg und Aachen stechen dabei ein wenig hervor und belegen seit Jahren jeweils am Sonntag ca. 60 min im Hauptprogramm ARD oder ZDF. Die regionalen Sender der ARD wie der NDR, MDR, WDR usw. berichten kontinuierlich von weiteren Reitsportveranstaltungen. Mehr können wir nicht verlangen. Wir müssen realistisch sein und erkennen, dass wir mit dem Reitsport nicht die Quoten von Biathlon oder Fußball erreichen. Aber wir haben andere Möglichkeiten wie z.B. ClipMyHorse, dem Streamingportal für Reitsport, das für jeden Menschen erreichbar ist. Da kann man nahezu den gesamten Reitsport verfolgen, und die Reichweiten für die Sponsoren können sich bei den besseren Events auf jeden Fall sehen lassen.

Dann haben wir die große Vielfalt der sozialen Medien wie Facebook, Instagram, TikTok, Snapchat und vieles mehr. Wenn man als Veranstalter diese Tools in einem guten Mix richtig nutzt, hat man alles erreicht, was man für eine Vermarktung eines Events erwarten kann.“

Sollten die drei olympischen Disziplinen Springen, Dressur und Vielseitigkeit möglicherweise in naher Zukunft aus dem Olympischen Programm gestrichen werden, wohin würde sich der Reitsport entwickeln nach Ihrer Meinung, zu reiner Show?

V.W.: „Wie bereits oben erwähnt, der Sport muss immer im Mittelpunkt bleiben. In einem solchen Fall, der hoffentlich nicht eintreten wird, muss nur dafür gesorgt werden, dass der Sport offen und zugänglich bleibt für alle, die daran teilhaben wollen. Wir dürfen keine 'Closed Shops' auf Dauer zulassen. Das würde eine Zerschlagung der Struktur nach sich ziehen und den organisierten Sport vor eine schwere Probe stellen!“

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Zur Person Volker Wulff:

Das von ihm 1992 gegründete Unternehmen „En Garde“ hat seinen Sitz im über 900 Jahre alten 1000-Seelenort Uthlede/ Kreis Cuxhaven. Den Firmennamen erfand er selbst aus dem Französischen „Vorsicht“ ( En Garde: im Fechtsport Aufforderung zum Kampf) oder "etre en garde" (Auf der Hut sein). Volker Wulff (65) ist u.a. Veranstalter des Deutschen Spring- und Dressurderbys in Hamburg und von „Partner Pferd“ in Leipzig, wo schon mehrmals die Finals um die Weltcups in Springen, Dressur, Voltigieren und Fahren integriert waren. Für 2024 bekam er den Zuschlag zur Organisation des Weltcup-Finals in Springen und Dressur in Riad.

Die Eltern hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb in Uthlede mit Pferden. Er selbst ritt Springen bis zur mittelschweren Klasse. In Göttingen studierte er Agrarwissenschaften mit Schwerpunkt Tierproduktion, schrieb seine Diplomarbeit über „Korrelation zwischen Exterieur- und Leistungsmerkmalen bei deutschen Warmbluthengsten“. Nach verschiedenen Tätigkeiten bei Oldenburger-Auktionen und Mitbegründung der Marketing-Agentur Escon machte er sich 1992 selbständig mit „En Garde“. Bisher vermarktete er u.a. Weltmeisterschaften im Volleyball und im Rudern, verlegte aber den Schwerpunkt auf den Reitsport mit Turnieren neben Hamburg und Leipzig in München, Gera, Linz/ Österreich, Wien, Dresden, Paderborn, Luhmühlen und Jüterborg, außerdem in China und Indonesien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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