Julien Verboomen - ein Belgier ändert Denkweisen und Machtverhältnisse |
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Geschrieben von: Dieter Ludwig |
Freitag, 29. August 2025 um 18:43 |
Crozet/ FRA. Die in der Politik so gerne angewandte Formulierung von der Zeitenwende ist wenigstens in der Dressur realisiert: Erstmals nach 40 Jahren und nach Dr. Reiner Klimke wurde ein Mann wieder Einzel-Europameister – die Kür war noch nicht eingeführt - und das auch noch ein Belgier, in dessen Land angeblich die besten Pommes Frites gebrutzelt werden, aber die Dressur wahrlich keine Heimat hat… Der Reitsport ist die einzige olympische Sportart, wo Frauen und Männer gleichgestellt sind. Doch ehe das weibliche Geschlecht überhaupt an Turnieren teilnehmen durfte, lagen Welten dazwischen. Die Dublin Horse Show als sicher weltälteste Turnierveranstaltung seit 1864 vermerkt in ihren Annalen, dass erstmals für Amazonen 1919 ein Springen auf dem Programm stand. Und Olympia öffnete sich erstmals 1952 auch zusätzlich dem weiblichen Geschlecht, bereits 1949 im Reitsport schon Deutschland, doch bei deutschen Meisterschaften gab es über viele Jahre Extrawertungen in Springen und Dressur zwischen den Geschlechtern. Den internationalen Sport ob in „Busch“, Dressurviereck oder in der Landschaft mit Oxer, Wall und Steilsprung herrschten viele Jahre nur Männer. Und international wiederum nur einige Vertreter der Nationen wie den USA, aus Italien, der Schweiz, aus Spanien, Frankreich, Großbritannien, Irland und Deutschland im Springen, in der Dressur gaben die Schweiz und Deutschland die Richtung vor, nach Ende des Zweiten Weltkriegs durften auch die Russen mit ihren fast speziell dressierten Pferden mitmachen. Die Titel bei Europameisterschaften standen fast immer vorher schon fest, einmal Deutsche, dann wieder Schweizer. Die Schweiz mit Christine Stückelberger auf Granat und ihrem gewieften Trainer Georg Wahl an der Seite beendete die deutsche Siegesritte in der Dressur brutal, doch die gekränkte deutsche Reiterei schlug zurück. Mit Ansage sogar, als Anne Grethe Jensen aus Dänemark mit Marzog dazwischen geritten war und ausgerechnet in Aachen 1983 als Europameisterin geehrt wurde. Reiner Klimke damals: „Den Titel hole ich zurück, das verspreche ich.“ Zwei Jahre danach siegte er in Aarhus auf Ahlerich wie prophezeit. Die Dressur-Welt lief in abgesteckten Bahnen und war kalkulierbar. Wie auch das Richterwesen. Dann begann wieder eine neue Zeitrechnung, in der Einzelwertung wurde neben dem Grand Prix Special auch die Kür ins Programm aufgenommen. Damen übernahmen die Herrschaft über die Sandvierecke, Isabell Werth, Anky van Grunsven, Charlotte Dujardin und zuletzt Jessica von Bredow-Werndl, die vor zwei Jahren die Einzeltitel in Riesenbeck in Grand Prix Special und Kür gewann. Und jetzt tauchte da vor einigen Wochen praktisch aus dem Nichts, wie vor Jahren auch in Aachen unvergessen Totilas mit Edvard Gal, ein relativ junger Belgier auf, den bis zum deutschen CHIO Anfang Juli kaum jemand kannte, von dem wenig zu lesen war und von dem man auch nichts gehört hatte. Doch auf dem herrlichen Rapphengst Zonik Plus von Zornik mal Heideblume wurde er „Champion der Dressur“ des Weltfestes im Reitsport. Nun ist dieser Julien Verboomen (33) mit dem Hannoveraner-Rappen Europameister im Grand Prix Special geworden, ein Belgier und Dressur, das hätte bis Aachen nie einer für möglich gehalten. Und auf einem Pferd, das er in einem Vorort von Lissabon entdeckt hatte, zweieinhalbjährig kaufte und selbst ausbildete. Reitmeister Jean-Emile („Jan“) Bemelmans, gebürtiger Belgier, sagt über ihn: „Ein ganz bescheidener Bursche, der den Dressursport lebt, wissbegierig ist, nicht überheblich, der sich viel selbst überlegt, sich auch schlau macht, wie kann und soll ich trainieren, um weiter zu kommen.“ Es wäre keine Überraschung, würde Julien Verboomen nicht auch die Kür und damit den zweiten Einzeltitel der 32. Europameisterschaft seit 1963 am Sonntag zum Abschluss der EM in Crozet gewinnen. Dem Dressursport könnte eigentlich auch kaum etwas Besseres passieren, zusätzlich als Hoffnung für alle jene, die sich Tag für Tag bei jedem Wetter ständig bemühen, um reiterlich weiterzukommen...
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