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Vor 50 Jahren - Rebellion gegen Nationalhelden HGW PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Sonntag, 19. Juni 2022 um 19:02

Wassenberg. Die Olympischen Sommerspiele in München vor 50 Jahren begannen am 26. August und endeten am 11. September, durch das Attentat von palästinenschischer Terroristen auf die israelische Mannschaft wurde der Veranstaltung und allen anderen nachfolgenden die Heiterkeit geraubt, und im Vorfeld der Spiele durchlebte der deutsche Springsport einen kaum für möglich gehaltenen Aufstand gegen das Idol Hans Günter Winkler: „Nicht mehr mit HGW in einer Equipe…“ Ein Rückblick auf jene Tage.

Hans Günter Winkler und Fritz Thiedemann, Botschafter des neuen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, waren damals die Idole eines Landes, das aus Ruinen langsam wieder erstand. Sie wurden zu Sportlern des Jahres gewählt, Winkler gar zum „Sportler des Jahrzehnts“. Vor allem „HGW“, wie er sich nennen ließ, wurde verehrt als Lichtgestalt, und nach seinem Schmerzensritt auf Halla im zweiten Umlauf des Nationenpreises mit einem Muskelriss in der Bauchdecke und in der Leiste um Gold bei Olympia 1956 in Stockholm wurde er fast heilig gesprochen. Königin Elizabeth II bat bei ihrem Besuch in der Bundesrepublik damals sogar darum, ihn als Tischnachbarn beim Festbanquett zu haben. Er startete, wo er wollte, und er bestimmte, wer noch neben ihm in der Equipe bei Nationen-Preisen reiten durfte. Er stand bereits zu Lebzeiten auf einem Denkmal, nichts schien ihm etwas anhaben zu können. Er war ganz oben, und von dort wollte er nie mehr weg. Aber ausgerechnet gegen ihn, den Unantastbaren, braute sich vor 50 Jahren und vor Olympia in München einiges zusammen, gegen ihn, der sich auch von den meisten Teamkameraden lange mit Sie anreden ließ. Er war und galt als der Herrenreiter, an dem kein Stallgeruch haftete. Und er pflegte dieses Image auch.

Beim sogenannten „Heldengedenktag“ in Warendorf, wo man sich am Ende einer Saison am Stammsitz des deutschen Reiterverbandes alljährlich trifft, um gelobt zu werden, verteilt am 11. November 1971 der damalige Präsident Dieter Graf Landsberg-Velen Olympiapässe, damit stand der Besitzer eines solchen Papiers schon einmal vor der Tür nach Olympia. Landsberg ruft von den Springreitern Alwin Schockemöhle, Fritz Ligges, Hartwig Steenken, Lutz Merkel, Hendrik Snoek, Gerd Wiltfang und Hans Günter Winkler zu sich nach vorne auf die Bühne.

Hugo Simon verabschiedet sich

Während des Turniers in der Westfalenhalle in Dortmund beschließen der Springausschuss und der Olympiakader am 18. März 1972, dass zur Nominierung der Olympia-Equipe die Turniere in Balve, Köln, Verden und der CHIO in Aachen als Sichtungsprüfungen gelten, dort hätten die möglichen München-Starter auch ihre in Frage kommenden Pferde vorzustellen. In Dortmund gibt gleichzeitig Hugo Simon verärgert seinen Entschluss bekannt, in Zukunft für Österreich in den Sattel zu steigen, seine Stute Fair Lady hätte der Ausschuss gerne einem anderen Reiter untergeschoben, ihn hielt man für nicht gut genug.

Am 7. Mai in Balve gewinnt Hermann Schridde den Großen Preis auf Kadett und wird zusätzlich in den Olympiakader aufgenommen. Hans Günter Winkler reitet in Balve Grande Giso und nicht sein mögliches Olympia-Pferd Torphy, worauf die Kollegen bereits argwöhnen, HGW reite gegen die Abmachung und wolle Torphy schonen. Winkler und Grande Giso nehmen fünfmal Stangen der Hindernisse mit, unter den Kaderreitern lacht Fritz Ligges laut auf, Winkler ruft beim Vorbereiten: „Ihr Scheißer, wollt ihr mich fertig machen?“ Am 16. Mai erhält Paul Schockemöhle auf Anfrage vom Springausschuss den Bescheid, er käme für München nicht mehr in Frage, auch wenn er in allen noch ausstehenden Prüfungen besser platziert wäre als der Fünftbeste der Olympiapass-Inhaber. Daraufhin überlässt Paul Schockemöhle seinen Wallach Abadir seinem Bruder Alwin, dessen Pferde erkrankt waren.

HGW fehlt in Köln

Am 28. Mai beendet in Köln Gerd Wiltfang die zweite vorolympische Sichtung als Erster auf Askan – HGW und Torphy fehlen auch in Köln. Winkler war im Training gestürzt und hatte sich eine Wadenbeinprellung zugezogen. Nun werden erstmals auch Vergünstigungen von HGW öffentlich, Josef Neckermann, damals Vorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe, bestätigt eine beträchtliche Summe zum Unterhalt von Pferden in allen drei Olympischen Sportarten, darunter fielen auch Winkler-Pferde, andere Springreiter kamen nicht in den Genuss der Sporthilfe. Die Kollegen schäumen. Zusätzlich Feuer entfacht Kurt Capellmann, damals Vorsitzender des Deutschen Olympiadekomitees für Reiterei (DOKR), also zuständig für die sportlichen Belange des Sports im Verband: „Wenn jetzt noch einer den Mund voll nimmt, fliegt er aus der Auswahlmannschaft und ist somit auch für München draußen. Bei den Dressurreitern haben wir mit dieser Methode gute Erfahrungen gemacht.“ Nun fühlen sich die Springreiter erst richtig angestachelt. Sie verlangen alle finanzielle Unterstützung durch die Föderation und eine Offenlegung der Summen, die HGW erhalte. Dazu erklärt auch noch Capellmann am 3. Juni im Aktuellen Sportstudio des ZDF, Winkler werde „lediglich“ für fünf Pferde von der Deutschen Sporthilfe unterstützt.

Rebellentreff in Mellendorf

Am 7. Juni trifft sich der harte Kern der Springreiter in Mellendorf auf dem Hof von Hartwig Steenken. Die Reiter formulieren einen Brief an den FN-Präsidenten Dieter Graf Landsberg-Velen, an Kurt Capellmann und an Otto Schulte-Frohlinde, den Vorsitzenden des Springausschusses.

Das Schreiben beginnt: „Sehr geehrte Herren, die Unterzeichner dieses Briefes erklären hiermit unwiderruflich, dass sie nicht bereit sind, in einer Mannschaft an den Olympischen Spielen in München 72 teilzunehmen, wenn Hans Günter Winkler in dieser Mannschaft reitet. Wir sind sicher, dass wir nach den letzten Veröffentlichungen in Funk, Fernsehen und Presse sowie wegen des unsportlichen Verhaltens von Herrn Winkler bei der Vorbereitung zu den Olympischen Spielen kein echtes Team bilden können. Gerade Herr Winkler bestand bei der Sitzung des Springausschusses im März in Dortmund darauf, dass sämtliche Olympiabewerber an den vier Vorbereitungsspringen teilnehmen müssten. Auch haben wir seit längerer Zeit wiederholt darauf hingewiesen bzw. darauf hinweisen lassen, dass die zahlreichen Vergünstigungen, die Herr Winkler durch das DOKR und dessen Hilfe durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe erhält, eine unzulässige Bevorzugung eines einzelnen darstellen, die zwangsläufig jeden Mannschaftsgeist in der Equipe zerstören müssen. … Nach dem Interview des Herrn Capellmann in der Hamburger Morgenpost vom 31. Mai 1972 mussten wir im Gegenteil lesen, dass der Vorsitzende des DOKR auf die Erklärung des Herrn Winkler (`Bis auf Hendrik Snoek reißen jetzt Profis und Pferdehändler das Maul auf`) erklärt hat, wir würden uns haarscharf am Rande der Olympia-Legalität bewegen und alle Tricks beherrschen, damit ist auch Herr Capellmann für uns als DOKR-Präsident untragbar geworden.“

Hinzu wäre gekommen, dass er im Sportstudio wahrheitswidrig erklärt habe, Steenken hätte ein Darlehen von 100.000 Mark erhalten und für Kosmos eine Unterstützung von 60.000. Weiter heißt es, Herr Winkler werde von der Sporthilfe lediglich für fünf Pferde unterstützt, „in Wirklichkeit besitzt Herr Winkler aber keine fünf eigenen Pferde, die olympischen oder interrnationalen Anforderungen genügen. Abgesehen davon hat er keine erstattungsfähigen Pferdeunkosten, weil das DOKR ihm Ställe und einen Pferdepfleger kostenlos zur Verfügung stellt.

Mit Reitergruß Alwin Schockemöhle, Paul Schockemöhle, Hartwig Steenken, Hermann Schridde, Fritz Ligges, Lutz Merkel, Karl-Heinz Giebmanns, Hendrik Snoek, Michael Gockel, Manfred Kloeß, Kurt Jarasinski.“ Nicht unterschrieben hatte Gerd Wiltfang, obwohl er wollte, doch sein damaliger Dienstherr Josef Kun, Bauöwe vom Niederrhein und ehemaliger Schwergewichtsboxer, bremste ihn aus. Kun: „Wir verhalten uns neutral wie die Schweiz. Wenn Gerd Wiltfang noch einmal eine Äußerung von sich gibt, kann er die Koffer packen.“

Das Rebellen-Schreiben überbrachte Paul Schockemöhle zwei Tage später in München Kurt Capellmann zum Auftakt der Tagung des Springausschusses und des DOKR. Capellmann jedoch las den Beschluss der Reiter nicht vor. Die Öffentlichkeit wiederum verstand den Aufstand zudem nicht, weil sie nichts mit Kosten für Pferdepfleger oder Boxenmiete usw. anfangen konnte.

Beim dritten Sichtungsturnier in Verden/ Aller (9. bis 11. Juni), Hans Günter Winkler wird im Großen Preis mit Torphy Dritter hinter Sieger Steenken und Wiltfang, doch der Beifall der 10.000 Zuschauer im Stadionn gehört vor allem ihm.

"Unsere Resulution bleibt bestehen"

Auf Einladung von Josef Neckermann („aus Liebe zur Reiterei und als ehrlicher Makler“) trifft man sich in Wolfsburg am 14. Juni. Zehn Studen wird debattiert. Paul Schockemöhle erklärt danach: „Unsere Resolution, mit Hans Günter Winkler nicht in einer Olympia-Mannschaft zu starten, hat auch nach diesem Gespräch weiterhin Gültigkeit.“ Winkler ließ sich durch einen Hamburger Anwalt vertreten, der erklärt: „Die Entscheidung kann nur auf dem grünen Rasen fallen, in Aachen.“

Am 27. Juni tagt der Vorstand des DOKR in Hannover sechs Stunden lang. Die Vorwürfe gegen Winkler werden entkräftet, „der Vorstand stellt jedoch fest, dass Winkler in den letzten drei Jahren keine stärkere Initiative entfaltet hat, an der ehrenamtlichen Ausbildung von jungen Reitern und Pferden mitzuwirken“. Außerdem „stellen der Vorstand DOKR und der Präsident des nationalen Verbandes gleichzeitig fest, dass nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind, um eine gerechte und angemessene Behandlung aller Reiter zu sichern“. Der Vorstand des DOKR stellt sich einstimmig hinter die Aussagen des FN-Präsidenten, dass die Nominierung für München nach sportlichen Gesichtspunkten gefällt werden muss. Am 29. Juni bittet Winkler um Einstellung der Sporthilfegelder.

Aachen, 9. Juli 1972, Schlusstag des CHIO von Deutschland, Großer Preis von Aachen vor 40.000 Zuschauern. Hans Günter Winkler und Torphy werden hinter dem Brasilianer Nelson Pessoa auf Nagir Zweite. Hermann Schridde und Fritz Ligges brauchten nicht mehr mit ihren Pferden anzutreten, da sie im Preis der Nationen eingesetzt waren, Hartwig Steenken mit Simona und Gerd Wiltfang mit Askan waren bereits für München nominiert.

Am 10. Juli tagen in Aachen ab 8 Uhr im Hotel Quellenhof die einzelnen Disziplinausschüsse von Vielseitigkeit, Dressur und Springen, die möglichen München-Starter müssen dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK) noch wegen der letzten Frist zur namentlichen Nennung am gleichen Tag vorgeschlagen werden, denn nur das NOK kann einen Sportler für Olympia nominieren. Um 15. 30 Uhr rennt Springausschuss-Vorsitzender Otto Schulte-Frohline („Schufro“) aus dem Sitzungssaal und ruft: „Ich habe gerade mein Amt niedergelegt, weil Graf Landsberg nicht mit dem Kompromiss einverstanden ist, Winkler nur für den Preis der Nationen zu benennen, nicht für das Einzelspringen.“ Schufro wird von anderen Sitzungsmitgliedern eingefangen.

Um 17 Uhr werden die Scheinwerfer der TV-Kameras angeknipst. Rechtsanwalt Josef Augstein hält Hof und verkündet, Winkler bedauere verschiedene Misshelligkeiten, werde in Zukunft kein Amt im Verband anstreben und in München nur im Preis der Nationen reiten. Augstein erklärt weiter, dass Hermann Schridde und Hendrik Snoek, die sich durch ihre Leistungen bei den Sichtungen für München empfohlen hätten, freiwillig auf eine Nominierung verzichten. Dem NOK vorgeschlagen werden durch Dieter Graf Landsberg-Velen: Hartwig Steenken auf Simona, Fritz Ligges auf Robin, Gerd Wiltfang auf Askan und Hans Günter Winkler auf Torphy.

Die Equipe gewinnt am 11. September im einmaligen Olympiastadion zum Abschluss der Spiele die Goldmedaille vor den USA – nicht zuletzt aufgrund des Wassergrabenfehlers als Schlusssprung von Mainspring unter William Steinkraus des von Hans-Heinrich Brinckmann kunstvoll gestalteten Parcours. Winkler, bis dahin bereits fünfmal Deutscher Meister, einmal Europameister und zweimal Weltmeister, kam zu seiner fünften Goldmedaille.

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Von der München-Equipe lebt keiner mehr:

Hartwig Steenken starb mit 36 Jahren an den Folgen eines Autounfalls am 10. Januar 1978, Fritz Ligges mit 58 am 21. Mai 1996, Gerd Wiltfang mit 51 am 1. Juli 1997 und HGW mit 91 am 9. Juli 2018.

 

 

 


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