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Der Traum eines kleinen Mädchens...(116) PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Dienstag, 21. Februar 2012 um 15:40

Ein Pony, das vor Schmerz nur rückwärts läuft...

 

 

Reiten war für Polly schon immer das Größte. Fast jeden Tag verbrachte sie im Reitstall. Die Schule geriet fast zur Nebensache. Für ihre Eltern allerdings nicht. Sie bestanden darauf, dass Polly ordentliche Noten mit nach Hause zu bringen habe. Doch Polly träumte davon, eine große Dressurreiterin zu werden. Dabei schwebten ihr Vorbilder wie Isabell Werth und Ulla Salzgeber vor. Von einem Wunderpferd wie Totilas, so schrieben die Zeitungen teilweise über den schwarzen Hengst,  wagte sie kaum zu träumen, dass sie so einen Rappen mal würde reiten dürfen, auch darüber wagte sie nicht nachzudenken, aber schon ein bisschen. Obwohl – in letzter Zeit – unter dem neuen Reiter… Egal das Pferd war für alle, die Polly kannte, ein absoluter Traum, den sich jeder Dressurreiter nur für sich selbst  wünschte.


Träume, wie diesen, hatte sie ständig im Kopf. Da war natürlich für die Schule kaum noch Platz und Raum. Höchstens noch für ihre Klassenkameraden, mit denen sie befreundet war. Aber eigentlich hatte sie auch für diese recht wenig Zeit. Außerhalb der Schule sah sie ihre Schulfreunde selten oder ganz wenig. Sie ging ja fast jeden Nachmittag in den Reitstall. Hier traf sie ihre wirklichen Freunde, ihre Clique. Wenn alle da waren, kamen fünfundzwanzig Leute mindestens zusammen, die man dazuzählen konnte. Die jüngsten von ihnen waren elf, die ältesten zwanzig Jahre alt. Polly war zwölf.


Mit sieben Jahren hatte sie angefangen, Reitstunden zu nehmen. Damals bekam sie von Oma und Opa eine Zehnerkarte für Ponyreitstunden. Heute durfte sie oft Ponys umsonst reiten, von denen die „normalen“ Reitschüler herunterfielen oder vor denen diese Kinder Angst hatten. Polly war das gerade Recht. Konnte sie doch so ihr Können beweisen oder verbessern. Es kamen immer mal Situationen mit den schwierigen Ponys auf, die selbst Polly vor ein Problem stellten. Dann erwachte ihr Ehrgeiz besonders, und sie stellte sich dem Problem. Manchmal dauerte das vier Wochen. Der Reitlehrer erkannte das und ließ Polly gewähren. Wusste er doch, wenn Polly das widerspenstige Pony einmal durchweg vier Wochen „zurechtgebogen“ hatte, konnte er es getrost in den Schulbetrieb aufnehmen.


Für Polly brachte dieses Arrangement  fast nur Vorteile. Zum einen brauchte sie keine Kärtchen von ihrer Zehnerkarte abreißen, zum anderen konnte sie jeden Tag, auch am Wochenende, reiten und dabei ihre Fähigkeiten verbessern. Sie durfte Samstags und Sonntags sogar in den Freistunden reiten, die nur für die Privatpferde vorgesehen waren. Das brachte ihr bei den Reitkollegen viel Anerkennung, aber auch viel Neid ein.


Als ein neues Pony für den Schulbetrieb in den Stall kam, war es zunächst nicht zu gebrauchen. Beim Aufsteigen blieb es noch ganz lieb stehen. Beim Abteilungsbilden reihte es sich auch ganz brav ein. Sobald aber der Reitlehrer kommandierte: Zügel aufnehmen, begann das Problem. Es blieb einfach stehen. Mittendrin. In der Abteilung. Keinen einzigen Schritt machte es mehr.


Die kleinen Reiter trieben es noch so sehr mit Kreuz- und Schenkelhilfen an. Es half nichts. Der Reitlehrer erlaubte sogar, die Gerte zu Hilfe zu nehmen. Es funktionierte nicht. Endlich sollte der kleine Reiter die Zügel in eine Hand nehmen und mit der anderen die Reitgerte ausholen und feste zuhauen. Auch das funktionierte nicht.


Ganz zum Schluss holte sich der Reitlehrer eine Longierpeitsche und, als die Situation wieder aufkam, knallte dem Pony hinten auf den Batzen. Da wich das Pferdchen einfach zurück. Es ging keinen Schritt vorwärts, nur immer rückwärts und stieß dabei gegen das Pony, was hinter ihm lief. Der Reiter auf dem störrischen Pony konnte gar nichts mehr tun. Sein Pony wich immer nur zurück, zurück, zurück. Es musste aus dem Schulbetrieb genommen werden. Jetzt musste Polly ran, sie sollte sich ganz alleine um das Problem kümmern.


Zunächst hatte sie auch keine Idee. Sie hatte bis dahin den Vorfall immer nur beobachtet und wusste auf Anhieb auch keinen Rat. Die ganze Nacht, den ganzen Tag (natürlich auch in der Schule), dachte sie darüber nach, wie sie das Problem aus dem Wege schaffen könne.


Am folgenden Tag machte sie das Pferdchen fertig, indem sie es zuerst gründlich putzte, um Kontakt und Vertrauen aufzubauen. Dann sattelte und trenste sie es. Schon beim Hineinführen in die Reitbahn stellte sie fest, dass das störrische Pony überaus empfindlich auf das Gebiss im Maul reagierte. Polly bemerkte, dass das Pony, sobald die Zügel und somit das Gebiss auch nur ein wenig angezogen wurden, es heftig mit dem Kopf schlug. Es musste am Eisen im Maul liegen, oder an den Lefzen.


Polly änderte das Programm. Sie ließ das Pony erst einmal an der Longe laufen. Sie band es dabei zunächst einmal gar nicht aus. Ganz, ganz vorsichtig führte sie es in die entsprechende Richtung, redete mit ihm und bemühte sich, die Longe kaum anzuziehen. Besonders beim Antraben zog sie nicht daran, um das Pferdchen im richtigen Abstand zu halten, sondern ging selber etwas in seine Richtung. Ihr war in dem Moment egal, ob es dabei korrekt um sie herum lief. Ihr war einfach wichtig, dem Pferd unter keinen Umständen im Maul zu ziehen. Gleichzeitig hob sie die Longierpeitsche leicht an und trieb das Pferd behutsam an.


Es funktionierte! Polly musste zwar arg hinter dem Pony „herdackeln“, aber sie schaffte es, ihm nicht mit der Longe im Maul zu reißen. Dabei war ihr durchaus bewusst, dass die Longe, je länger sie war, umso heftiger Einfluss aufs Gebiss hatte. Jeder Parade kam verstärkt im Pferdemaul an.


Als Polly einen Moment nicht aufpasste, buckelte das Pony sogar los. Es blieb Polly nichts anderes übrig, als die Longe immer länger zu lassen. In dem Moment, als sie diese schon am Ende festhielt, konnte sie nur noch loslassen, oder dem Pony im Maul rucken. Polly ließ die Longe einfach los, und das Pferdchen zog die Leine nun hinter sich her. Gott sei Dank war die Bahn leer und so konnte nichts passieren. Erst, als das Pony selbst auf die Longe trat, stand es mit einem Ruck wie ein Denkmal – und lief danach wieder rückwärts.


Polly merkte nun: Das Pony musste schlechte Erfahrung mit dem Gebiss und den Zügeln gemacht haben. Nun wusste sie, wo sie anzusetzen hatte. Wie sie das Problem beheben konnte, war ihr noch nicht ganz klar. Für den Anfang fasste sie die Zügel kurz hinter dem Gebiss und achtete darauf, dass sie beim Herausführen aus der Bahn, ganz vorsichtig immer mal an dem Gebiss zog. So wollte sie das Pony daran gewöhnen, dass ein Gebiss nicht unbedingt gleich Schmerzen bedeutete.


Da kam ihnen der Pitter mit dem Futterwagen entgegen. Unbewusst zog Polly an beiden Zügeln gleichzeitig, um das Pferdchen zurückzuhalten und den Pfleger durchzulassen. Das Pony erschrak und wich gleich wieder zurück. Durch den Gang, zwischen Stall und Halle, es lief nur rückwärts, rückwärts, wie ein Irrwisch. Polly ärgerte sich, dass sie da nicht vorsichtiger gewesen war. Diese Situation wollte sie doch unbedingt verhindern. Nun hatte sie es genau falsch gemacht. Die ganze Longenarbeit von vorhin war versaut.  Sie war sauer auf sich selbst.

 

(Fortsetzung folgt…)

 


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